NADOLIG LLAWEN ABLWYDDYN NEWYDD DDA!
(Visions 1996)

So sagt man, wenn man sich auf den britischen Inseln fröhliche Weihnachten und ein glückliches neues Jahr wünscht. Davon abgesehen, daß man in Irland kein Wort dieses walisischen Wunsches verstünde (und damit inzwischen wohl auch etwas spät dran wäre), zeugt es doch von der zungenbrecherischen Extravaganz mancher Insel-Nachbarn im Nordwesten. Irland, Austragungsort fragwürdiger Konfessions-Kriege, Mutter aller Kerry-Kühe und Kelly'scher Folk-Epigonen, jaja. Natürlich kann das nicht alles gewesen sein. Therapy? (???) kommen von hier, wenngleich aus dem britisch okkupierten Norden. Bald wird sich auch ein Ire von seiner Irin standesamtlich scheiden lassen können. Tori Amos wiederum entschied sich, hier ihr neues Album "Boys For Pele" aufzunehmen und für die europäische Presse zu promoten.

Die fünfzig Minuten Flug vom Londoner Airport in die südirische Provinz Cork reichen bei weitem nicht aus, mich in dem Lautgewirr meiner fröhlichen Sitznachbarn zurechtzufinden. Verfremdetes Englisch? Nein, selbst das Kauderwelsch des indischen Straßenhändlers damals hatte mehr damit gemein. Und wenn das Gälisch ist, hat es das verdammt in sich. Soviel ist klar: Trinken können die drei mit der JFK-Frisur, denn in so kurzer Zeit per Gerstensaft durch halb Europa zu 'reisen', ist definitiv eine stramme Leistung. So wird 'Geselligkeit' zum Stichpunkt Nummer eins auf meinem inneren Notizblock mit der Überschrift 'Woran man einen Iren erkennt' - 'Konsequenz' zur Nummer zwo, als der junge Herr sich die letzte Bierdose in die Hosentasche steckt, weil ihm die Landung zuvorkommt.

Cork Aiport. Das Gebäude ist nicht viel größer als ein mittlerer Supermarkt, in Sachen Prestige allerdings jedem Konsumtempel meilenweit voraus: Während andere Flughäfen nur grimmige Zöllner und kilometerlange Gangways zu bieten haben, strahlt einem hier die Wärme eines offenen Kaminfeuers (!) entgegen. Ja, dieser Platz ist gut, sehr gut. Für die Gruppe der Fragensteller wurde ein Kleinbus gechartert, am Steuer sitzt ein irischer Doppelgänger von Mr. Bean. Das Ratespiel um die seltsamen Laute geht gleich weiter, denn außer dem freundlichen "Howwe yer dowing?", rufen die Gesprächsversuche von Mr. Bean nur schüchternes Achselzucken hervor. Diejenigen unter den zehn Vertretern der deutschen Musik-Journaille, die nicht vom üppigen Weihnachtsschmuck im Flughafengebäude entzückt waren, sind spätestens jetzt vom Farbenspiel der 'Grünen Insel' beeindruckt; denn sogar im tiefsten November stellt die Vitalität der irischen Natur kontinentale Frühlingstage locker in den Schatten...

"Irgendetwas will mich zurückhalten, aber das Licht ist stärker, viel stärker. Es weist mir den Weg, es geht in die Vergangenheit, nur soviel ist mir klar. Da sind Menschen, die ich kannte - dabei einige, die ich sehr gut kannte, aber irgendwann nicht mehr kennen wollte. Ein Mädchen ist darunter, wir taten es, ohne Liebe, nur leiser Schmerz führte uns damals zusammen, und der Schmerz blieb. Plötzlich fühle ich ihren Schmerz, sehe ihren Blick und bin wieder allein, bevor meine Hand ihr Gesicht erreicht..."

Feiern können sie, die Iren, das fällt auf. Kinsale ist ein Ort, an dem sich Fuchs und Hase gegenseitig begraben, die knapp 2.000 Seelen in diesem winzigen Küstendorf leben vom Tourismus und der gesunden Luft. Wer von außerhalb hierher kommt, muß schon etwas besonderes vorhaben - Heiraten zum Beispiel. Der Journalisten-Mob wirkt fremd zwischen der lustigen Gesellschaft, die sich aus gänzlich anderen Gründen in Kinsales erstem Hotel am Platze eingemietet hat. Die zwei Liebenden sind hier die wahren Stars, um die 'Künstlerin' wird nicht mehr Aufhebens gemacht als nötig. Und mitten drin immer mal wieder Tori Amos selbst, die im Verlaufe der zwei 'deutschen' Pressetage einen entrückten Medienvertreter nach dem anderen aus ihrer Hotelsuite entläßt. Diese berichten einstimmig von 30 Minuten Magie zum Anfassen, einer Gesprächsatmosphäre der ganz besonderen Art, die einen kaum Oberflächliches zur Sprache bringen läßt. Tori ist schon länger hier. Nur wer sich eine Zeitlang in die urige Natur rings um Kinsale begibt, erhält einen kleinen Eindruck davon, wie sehr mensch seine Rezeptoren sonst unter dem 'Information Overload' begräbt. Wandern als adäquate Interviewvorbereitung, warum nicht?

"'Das ist es, was ich dir zeigen wollte', höre ich die Stimme sagen und ich bin durchflutet von Licht, noch viel intensiver als zuvor. Mein ganzer Körper beginnt zu beben, ein Teil meines Geistes sträubt sich und ich will schwerer atmen; 'Nein, tue das jetzt nicht, der Wind wird mich vertreiben...' Ich lasse ganz los und es ist das schönste Gefühl, das ich je hatte. Meine Dankbarkeit hält noch an, als ich die Augen aufschlage und diesen Moment für immer festhalten möchte. Aber wem danken? 'Was hast Du erwartet? Du bist in Irland, dem Platz, wo sich Engel zur Rast niederlassen...' Dies geschah auf einem Bett, einem x-beliebigen Bett in Irland..."

Eine nicht weiter kommentierte Out-Of-Body-Experience der schöneren Sorte. Dergleichen wirkt in dieser Umgebung überhaupt nicht an den Haaren herbeigezogen. Wo man aber sublime Vibes nicht mehr in Worte fassen kann, verweist man am besten auf die 50% Marktanteil heimischer spiritueller Souveniers im örtlichen Devotionalien-Shop. Ist es Zufall, daß Frauen mit guten Kontakten zu Feen, Elfen und anderen Lichtwesen früher oder später hier landen? Als Tori Amos noch die kleine Tochter eines amerikanischen Methodistenpredigers war, gab's dafür Höllenärger; heute macht sie aus dieser Sensitivität keinen Hehl mehr, denn man hört ihr zu. Was hat sie also nach Irland geführt? "lt's the place where the angels lay down to rest..."

Der Einstieg durch das Zaubertor der Geisterwelt war offenbar ein Volltreffer; Tori lächelt wissend, zum ersten Mal schweift ihr Blick hinaus auf die stürmische See bei Kinsale; als beziehe sie all ihre Inspiration aus diesem Bild vor dem Hotelfenster, flüstert sie: "lch wurde hierher gerufen: Ich spreche vor den Journalisten nicht gerne über meinen derzeitigen Aufenthaltsort, denn es ist besser... es wäre besser, wenn niemand weiß, wo ich im Moment lebe." Mein fragender Gesichtsausdruck bleibt Tori nicht lange verborgen: "Es gibt Leute, die es sich in den Kopf gesetzt haben, mich zu verfolgen. Ich muß meinen neuen Wohnort einige Zeit geheim halten, denn sonst müßte ich wieder fliehen. Sie halten sich für 'wiedergeborene Christen', aber es sind Verrückte."

Warum haben sie es auf dich abgesehen? Liegt es an deinen Songs? "Natürlich. Außerdem sehe ich mich nicht mehr als Teil des christlichen Glaubenssystems. Sicher steckt auch eine Menge Wahrheit im Christentum, aber ich habe Glaubenssysteme immer hinterfragen müssen. Das christliche stand dabei meistens an erster Stelle. Ich bemerkte deshalb sehr schnell, daß manche Leute nur die Wahrheit gelten lassen, die auch ihre Wahrheit ist. Diese Leute fühlen sich angegriffen, als hätte ich mit meinen Songs einen Auslöser betätigt, der sie durchdrehen läßt. Diese Menschen haben immer nur das in Frage gestellt, was ihnen ohnehin mißfiel. So können sie ihre kleinen Denkstrukturen beibehalten, und ihr System bleibt so starr, wie sie es gewohnt sind. Ich versuche, diesen Leuten so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu schenken, aber... aus Sicherheitsgründen belasse ich es bei der Information, daß ich mein neues Album in Irland aufgenommen habe."

Dennoch entstand Toris neues Album in einer Umgebung, die ihr aus Kindheitstagen ausgesprochen vertraut sein sollte: "Als ich klein war, wurde mir oft gesagt: 'Das Haus Gottes ist der einzige Ort, an dem Wahrheit gesprochen wird - be truthful in the house of God'. Ich suchte also eine Kirche, in der ich einmal nichts als die Wahrheit sagen konnte und ich fand sie - in County Whiglowe in Irland."

Dennoch sei "Boys For Pele" keine Abrechnung mit dem fanatischen Pfaffentum geworden (genausowenig eine Huldigung an brasilianische Fußball-Helden), sondern sollte vielmehr als eine weitere Kapitelüberschrift aus Toris unmittelbarem Erfahrungsbereich verstanden werden. "Der Weg zu diesem Album führte durch unzählige persönliche Höhen und Tiefen. It's the record of stealing fire..." Da ist sie wieder, die bezeichnende Bildsprache, mit der sich Tori so unendlich gerne umgibt. Als seien Metaphern ihre liebsten Spielkameraden, schickt sie immer einen ihrer Vertrauten voraus, der die ungefähre Denk-, nein, Fühlrichtung der nächsten zehn Minuten ausloten soll.

Die Anpassungsfähigkeit an das Verständisvermögen ihrer Zuhörer steht dabei nicht immer im Vordergrund, was ohnehin nur gegen die herrlich verschwommene Mystik dieser Frau arbeiten würde. "lch habe Menschen sehr oft 'das Feuer gestohlen' - am meisten natürlich Männern. Es war ein Prozeß der Bewußtwerdung: Seit Jahren habe ich immer wieder denselben Fehler gemacht, indem ich in Beziehungen nach Anerkennung für das suchte, was ich vollbracht hatte. Sicher, genau diese Anerkennung versuchte ich auch zu geben, aber nun weiß ich, daß diese Denkweise nichts als ein Faß ohne Boden ist. Niemand hat mir jemals das gegeben, was ich wirklich brauchte - nämlich meine eigene, kleine Streichholzschachtel. Pele - so nennen die Menschen auf Hawaii ihre Vulkangöttin. Ich ging dorthin, zu einer Medizinfrau, um mich an das Wichtigste in meinem Leben zu erinnern: Das innere Feuer, die Leidenschaft - passion."

"Sometimes I breathe you in
and I know you now
and sometimes you take a swim
found your writing on my wall
if my hearts soaking wet
boy your boots can leave a mess
hey Jupiter
nothings been the same"

(aus: "Hey Jupiter")

Er steht der Erde am zweitnächsten. Während Mars dem Intellekt seine Entscheidungs- und Tatkraft verleiht, ordnet der Sternendeuter dem Jupiter eben jene Qualitäten zu, die nach Strohfeuern des Verstandes für genügend Glaube, Hoffnung und Gnade sorgen sollen. Gewagte Analogie, die wohl nur im Kontext zur Seele eines Kalte-Schauer-Songs wie "Hey Jupiter" zu verstehen ist. Tori hatte Schmerzen. Sie war lange Single. Nach der Trennung von ihrem langjährigen Partner brach sie ihre Zelte in New Mexico ab und ließ sich mit der Anlaufstelle London in Europa nieder. "Boys For Pele" zieht einen Strich unter alle Kreuzungen, die durch zwei (oder mehr) Lebenswege entstehen - sobald sie anfangen, in verschiedene Richtungen zu laufen.

Wäre da nicht das klaffende Loch in der Glückseligkeit der Momentschwere - man könnte meinen, Toris Mutterschaftspläne nach dem letzten Album hätten sich verwirklicht und aus dem 'Cornflake Girl' eine erwachsene Frau gemacht. Aber das hätte anders geklungen. Herr Jupiter sagt es unverblümt, trauernd, in your face. "Der Zielort ist tatsächlich derselbe geworden: Ich bin aufgewacht, mache mir weniger Illusionen. Aber der Weg dorthin war sicher um einiges schmerzhafter als die Erfahrung, Mutter zu werden. Viele Beziehungen sind zu Ende gegangen, schließlich stehst du immer wieder an dem kleinen Fleck im Innern, von dem aus du die Dinge betrachtest: 'Mann, diese Verbindung war verrückt' (rollt verträumt ihre Augen zur Decke), 'Wer weiß, wie unser Wiedersehen verlaufen wird', all' diese Gedanken. Man spricht nicht mehr viel miteinander. Manchmal denkst du sogar, alles wäre so viel leichter, wenn der andere tot wäre. Aber nein, es gibt ihn und er läuft da draußen 'rum."

Ob Eifersucht jemals ein Thema für sie gewesen sei, will ich wissen; die lyrischen Geschütze auf "Under The Pink" waren zwar ganz klar auf Toris Mit-Frauen gerichtet, müssen aber nicht unbedingt Männerbeute als Beweggrund gehabt haben... "Hm... eigentlich bewirkt Eifersucht nichts in mir. Aber auf dem neuen Album ist so viel Wut zum Ausdruck gekommen, die lange Zeit unterdrückt wurde. Es geht hier vielleicht mehr um das Entzünden alter Leidenschaften als um's 'Verbrennen' im zerstörerischen Sinne. It's more about stealing the fire, you know... "

Geschicktes Ausweichmanöver, Hut ab. Bevor sich da eine charmante Furie doch noch festnageln läßt, fügt sie hinzu: "Vielleicht bin ich auch nur etwas zu... pyromanisch, hihi?!" Das Verhältnis zu Toris engem Freund Neil Gaiman (Kult-Autor der US-"Sandman"-Comics) scheint hingegen überhaupt nicht unter den Ereignissen der letzten Monate gelitten zu haben - ganz im Gegenteil: "Mein enger Freund Neil meinte neulich, 'Under The Pink' sei weder Fisch noch Fleisch gewesen. Er sagte das, nachdem er die neuen Songs gehört hatte, und er hatte recht damit. Neil darf so etwas sagen, er muß es sogar, denn Neil... er ist so etwas wie ein Bruder; ein spiritueller Bruder. Er war immer anwesend, wenn auch nicht physisch; er hat sehr genau miterlebt, was ich durchmachte, litt mit mir, faxte mir immer wieder Kurzgeschichten herüber, die er für mich geschrieben hatte. Als er merkte daß selbst das nicht viel an meiner Stimmung änderte, fragte er mich 'wieviel Geschichten müssen noch geschrieben werden, wie lange dauert es, bis die Saat der Unzufriedenheit in dir beseitigt ist und du wieder die Perlen siehst?' Ich antwortete ihm, daß er einfach weiterschreiben sollte denn im Grunde erheiterten mich seine Geschichten sehr. Aber darum ging es in dem Moment nicht. Ich war es ja, die Geschichten schreiben mußte, Geschichten in Songform. Jetzt habe ich diese Geschichten erzählt und sie sind geprägt von der Tori, die viel zu lange die Klappe halten mußte."

Das alles sagt sie mit einer Inbrunst, die 'the great pay-back' anzukündigen scheint, man denkt für eine Sekunde, selbst derjenige zu sein, der dem rothaarigen Mädchen gestern noch den Mund verbot. "lch mußte dieser Seite erlauben, ihre Stimme zu erheben, sie (lange Pause)... sie 'den Tango tanzen zu lassen', wenn du verstehst... und einiges davon ist nicht gerade nett. Auch Neil sagte: 'Hey, dieses und jenes Statement ist eigentlich gar nicht so nett, weißt du das? Aber du kennst mich: Ich liebe »gar nicht so nett«'":

Apropos Statements - deine Unzufriedenenheit mit dem ersten Album - noch vor "Little Earthquakes" - hast du damit begründet, zu musikalischen Bekenntnissen noch gar nicht fähig gewesen zu sein. Empfindest du Schmerz da nicht als 'Segen', solange er inspirierend bleibt? "Oh Gott, das 'Hard Rock Album'!" Tori schlägt dabei belustigt die Hände über dem Kopf zusammen und fährt viel ernster fort: "lch wünschte, es wäre wenigstens rockig gewesen, denn ich halte es im Nachhinein eher für poppig; es beweist nur, wie unwesentlich mein Denken damals war. Aber du hast natürlich recht, alle diese Erfahrungen, so traurig sie auch sind, helfen mir, leichter bessere Statements abgeben zu können. Für einen Komponisten sind es die Momente, in denen man aufschaut und bekennt: (simuliert mit aufgerissenenen Augen den Kniefall vor dem Schutzpatron der Künstler) Danke, danke, danke, LIEBER GOTT!!! Danke, daß ich anfange, Erfahrungen mit wirklicher Tiefe zu machen, sie in alle Richtungen ausleuchten darf und sie deshalb auch beschreiben kann. 'Under The Pink' war insofern der Ausbruch aus der Dunkelheit, denn dem 'Ausgestelltsein' nach 'Little Earthquakes' konnte ich lange Zeit nichts entgegensetzen. Der Weg nach innen war deshalb mein einziger Fluchtweg. Und die ersten Gesichter, die meine kleine 'Taschenlampe' dabei erfasste, waren die Gesichter der Frauen, die mich umgaben und die Spiele, die sie miteinander spielten. Wenn deine Arbeit sehr stark mit deinem Leben verbunden ist, ich meine, auf eine emotionale Weise, dann kann sie auch nur ein Spiegel deines Lebens sein."

Du sagtest einmal, Frauen fänden besseren Zugang zu deiner Musik, weil Männer gewisse weibliche Denkweisen einfach schlechter nachvollziehen könnten. Denkst du, das neue Album wird von der männlichen Seite der Menschheit als weniger 'abstrakt' aufgefasst, weil es sich mit einer Thematik beschäftigt, in die Männer zwangsläufig miteinbezogen sind? "Um ehrlich zu sein: Ich fürchte nicht. Sicher, dieses Album ist inspiriert von Männern. Es ist inspiriert von meinen Beziehungen zu Männern. Und gerade deshalb werden sie es auch abstrakt finden. Sie müssen es sogar abstrakt finden, denn auf diesem Album hört man, was ich empfunden habe, während 'er' aus der Tür marschierte. Ich glaube, Männer denken nicht darüber nach, was eine Frau empfindet, während sie aus der Tür marschieren. Ich glaube, sie wollen sich selbst nicht gestatten, an den Punkt vorzudringen, von dem aus sie Frauen verstehen könnten."

Ach komm' schon, das ist doch sowieso hoffnungslos, wenn wir mal ehrlich sind... "Nein, das ist es nicht!", lacht Tori beschwörend, "...es ist nur eine Frage der Freiheit. Wenn Männer sagen, Frauen seien ihnen zu abstrakt, dann haben sie damit im Grunde recht - sie sind für Männer nämlich gerade so abstrakt, wie ihr Blut, das weit weg unter den Füßen der Männer klebt..." Obwohl Tori ihren überwältigenden Charme niemals verliert, wäre mir langsam nach einem unauffälligen Themenwechsel. Aber nichts da: "Da war diese Beziehung der etwas lustigeren Art. Spätestens seit diesem Album hat sich die Wahrheit von der Lüge getrennt - zumindest für mich. Wenn man den Weg der Bewußtheit gewählt hat, fallen sie einem plötzlich Jahre später wieder auf, die 'kleinen Lügen der großen Geschichtenschreiber': Es ist beinahe faszinierend, wie geschickt 'er' die Geschichte so schreibt, daß sie ihm paßt und niemand anderem. Neulich traf ich 'ihn' wieder, und ich las ihm meine Version der Geschichte vor. Ich habe mir die Tatsachen bewußt gemacht, und (Glut in Toris Augen) sie sind so unendlich weit entfernt von dem, was er mich damals glauben machen wollte. Sie sollen kommen! (Sie ballt die Fäuste, ohne es zu merken) lch werde sie packen, allesamt, an den Ohren, (Kindheitserinnerungen der unschöneren Art werden wach), und sie werden 'Blood Roses' hören müssen! Jawohl, 'Blood Roses'! 'Hört euch 'Blood Roses' an, das ist die Wahrheit, so ist es gewesen und nicht anders!!!"

Vorhang. Was für eine Frau. Nein, ich habe mich nicht verliebt, und ich habe Glück dabei gehabt. Tori Amos braucht keine Bühnen, denn das Leben bietet ihr Hauptdarsteller genug.

MARTIN IORDANIDIS